Über die Zeitschrift "Jugend"
Die Zeitschrift „Jugend“ ist, wenn man ihren gesellschaftspolitischen Standort bestimmen will, das bürgerlich-konservative Gegenstück zum „Simplicissimus“. Leserschaft und Zielgruppe der „Jugend“ war das an Kunst, Literatur und Kultur interessierte liberale Bürgertum im Deutschen Reich, das im Fin de Siècle die Überwindung von Historismus, Gründerzeitdenken und Spießertum und damit einen neuen Aufbruch einleiten wollte. Der Erfolg der „Jugend“ verdankte sich also zum einen einer gesellschaftlichen Neuorientierung, darüber hinaus aber wohl auch der Politik der Herausgeber, die stets darauf bedacht waren, das Themenspektrum der Zeitschrift möglichst breit anzulegen: Georg Hirth selbst formuliert dieses Programm in der ersten Doppelnummer als intendierte Programmlosigkeit:
„Ein ‚Programm‘ im spießbürgerlichen Sinne des Wortes haben wir nicht. Wir wollen Alles besprechen und illustrieren, was interessant ist, was die Geister bewegt; wir wollen Alles bringen, was schön, gut, charakteristisch, flott und – echt künstlerisch ist.“[1]
Die Zeitschrift stellt sich schon im Untertitel keine geringere Aufgabe, als ihr Spektrum zwischen „Kunst“ und „Leben“ aufzufächern, beide Begriffe möglichst zur Deckung zu bringen und so einen extrem weit gefaßten Kulturbegriff zu bedienen, der Literatur, Musik (in den ersten Ausgaben), Sport, bildende Kunst, Buchgestaltung, Architektur und Kunsthandwerk umfaßt, ohne das politische Leben und soziale Fragestellungen auszusparen.
Die „Jugend“ entwickelt sich rasch zu einem Forum der öffentlichen Stildiskussion, vor allem auf dem Gebiet der Grafik, Plakatkunst und Kunstgewerbe und wird zur „Drehscheibe“[2] aller modernen Tendenzen und zum geschmacksbildenden Forum[3], weil sie in Bild und Wort die künstlerische Avantgarde und ihre oppositionellen Ideen zu Wort kommen läßt. Ihre Titelbilder gelten bis heute als künstlerisch hochstehende Zeitdokumente[4]. Schließlich wird die Zeitschrift sogar zur Namensgeberin der neuen Stilrichtung, ohne jedoch ihren politischen Anspruch zu vergessen: keine Ausgabe, in der nicht bayrische Lokalereignisse wie auch weltpolitische Themen verhandelt würden.
Doch finden sich - dies entspricht ebenfalls dem selbstaufgestellten Programm[5] - niemals scharfe Verurteilungen, radikale Kritik oder Anprangerung, sondern stets sind Vermittlung, Kompromiß und Ausgleich der Gegensätze im Ton vorherrschend; Satire und Karikatur in der „Jugend“ suchen niemals, auch dort nicht, wo ihre Zeichner Otto Dix, George Grosz, Karl Arnold oder Erich Wilke heißen, die Schärfe und Konfrontation, wie sie im „Simplicissimus“ zum selbstverständlichen Habitus gehört.
Die „Jugend“ ist somit als Publikation zu beschreiben, die avantgardistisch ist, ohne doch agitatorisch zu sein. Somit bietet sie als Chronik kultureller Strömungen und Entwicklungen und als literarisches Forum eine unverzichtbare, unvergleichlich materialreiche Quelle für die Geschichte des Kaiserreichs und der Weimarer Republik.
Erscheinungsgeschichte im Überblick
Begründet zum Jahresbeginn 1896 durch den erfolgreichen Verleger und Schriftsteller Geor^g Hirth, ist die Zeitschrift in kontinuierlicher Folge bis 1940 erschienen. Chefredakteur waren u.a. Fritz von Ostini, Albert Matthäi, Wolfgang Petzet, Theodor Riegler. Franz Langheinrich hatte die künstlerische Redaktion inne. Franz Schoenberner (später Schriftleiter des Simplicissimus) übernimmt nach 1926 Hirths Aufgaben als verantwortlicher Herausgeber.
Die Zeitschrift dokumentiert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beinahe jede künstlerische Entwicklung in Deutschland, bringt nicht selten junge Künstler und Kunstrichtungen zu erster Popularität. Das kulturell interessierte Bürgertum verhilft dem Angebot einer Kultur-und Unterhaltungszeitschrift für gebildete Schichten von der ersten Ausgabe zu einer bemerkenswerten Auflage[6] und bringt dem Unternehmen Erfolg. Dafür stehen die populären Namen der Beiträger: neben sehr vielen anderen tragen Ernst Barlach, Max Beckmann, Peter Behrens, Erich Heckel, George Grosz, Ferdinand Hodler, Max Klinger, Alfred Kubin, Bruno Paul, Max Slevogt und Heinrich Zille zumeist durch regelmäßige Beiträgerschaft zur Erfolgsgeschichte der Zeitung bei.
Nicht weniger prominent ist die Liste der literarischen Beiträger, zu denen Peter Paul Althaus, Otto Julius Bierbaum, Ludwig Ganghofer, Maxim Gorki, Erich Kästner, Erich Mühsam, Ludwig Thoma, Fritz Schweynert, Edgar Steiger, Kurt Tucholsky zu zählen sind.
Der Ausbruch des ersten Weltkriegs geht mit einem patriotischen Anpassungszwang einher, der zu einer ersten ernsthaften Krise der Zeitschrift führt. Erst allmählich, unter der Schriftleitung Schoenberners, kann sie sich aus einer selbstgewählten Emigration ins Kleinbürgerliche befreien und zu einer neuen Reflexionshöhe finden, die allerdings in der Ausstattung – bei sinkenden Auflagenzahlen – auf die einstige Opulenz verzichten muß. Ab 1930 schägt sie einen Kurs gegen den Nationalsozialismus ein, der allerdings erheblich weniger eindeutigiges Engagement erkennen läßt als der „Simplicissimus“ oder der „Wahre Jacob“. Dennoch entkommt die Zeitschrift nicht der endlichen „Gleichschaltung“. Sie verliert zunehmend ihre Unabhängigkeit[7], ihr verantwortlicher Redakteur Arnold Weiss-Rüthel wird schließlich nach Sachsenhausen deportiert. 1940 muß die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellen – sie ist nur noch ein Schatten ihrer einstigen Opulenz.
[1] „Jugend“ Jg 1, H. 1/2
[2] Stölzl, Christoph in: Die Zwanziger Jahre in München. Katalog zur Ausstellung im Münchner Stadtmuseum Mai bis September 1979. S. 488
[3] Nicht zuletzt durch die „Jugend-Kunstdrucke“, die in alle Welt geschickt und zum Standard-Wandschmuck bürgerlicher Wohnungen wurden und natürlich eine wichtige Einnahmequelle für den Verlag waren.
[4] Siehe dazu Weisser, Michael: „Titelblätter der Jugend. Dokumente zur gesellschaftlichen Situation und Lebensstimmung in der Jahrhundertwende“. München 1981
[5] „Wie auf künstlerischem und literarischem Gebiete alles Junge und Zukunftsreiche Beachtung findet, ist auch der humoristische Teil in Bild und Text auf den Ton lebensbejahender Heiterkeit gestimmt. Selbst Satire und Karikatur dienen hier nicht zersetzender Kritik, sondern einer im wahrsten Sinne positiven Aufgabe, die im befreienden Lachen ihre beste Erfüllung findet.“ Zitiert nach: Stölzl a.a.O. S. 488
[6] Verläßliche Angaben über die Auflagenhöhe sind allerdings rar. Weisser („Stil der Jugend“ S. 26) bekundet eine Startauflage von 30.000 Exemplaren, die sich bis 1904/05 auf mehr als das Doppelte habe steigern können. Allein der Bekanntheitsgrad, die Erscheinungsdauer der Zeitschrift sowie der finanzielle Erfolg des Verlags bis etwa 1920 lassen vermuten, daß die Leserschaft insgesamt kaum geringer als beim „Simplicissimus“ gewesen sein dürfte. Eine umfassende Editionsgeschichte der Zeitschrift ist im übrigen bis heute ebenso wie eine Gesamtwürdigung ein Desiderat.
[7] Man versucht eine Fusion mit der „Illustrierten Monatsschrift für Bildnisfotografie“, doch wird dies von den Lesern offenbar immer weniger verstanden.
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